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GERHARD WINTERBERGER – LIBERALER WELTBÜRGER UND LIBERALKONSERVATIVER PATRIOT

ZUM 100. GEBURTSTAG DES FRÜHEREN GESCHÄFTSFÜHRENDEN PRÄSIDIALMITGLIE DES VORORTS DES SCHWEIZERISCHEN HANDEL- UND INDUSTRIEVEREINS SOWIEDES KLASSISCH-LIBERALEN PUBLIZISTEN AM 1. MAI 2022

VON ANDREAS K. WINTERBERGER

Am Sonntag, 1. Mai 2022 jährt sich der 100. Geburtstag des viel zu früh verstorbenen, in konsequent ordnungspolitischen Kategorien (Freiburger Schule, Friedrich A. von Hayek) denkenden und handelnden Wirtschaftspolitikers, Publizisten und Wissenschafters Dr. Gerhard Winterberger (1. Mai 1922 – 17. Oktober 1993). Winterberger, der zu Recht die Reputation des «achten Bundesrats» hatte, dies aber aus Klugheit und Bescheidenheit stets bestritt, war ein höchst unabhängiger, unerschrockener und unkonventioneller Mann, reich gesegnet an Talenten und Interessen selbst sportlicher (Spitzenleichtathletik im Juniorenalter, afacionado des Schwingens) und künstlerischer Art (exzellenter Pianist und Sänger, glänzender Stilist, hochbegabter und spielerischer Umgang mit der Sprache selbst mitunter gar im Sinne des Dadaismus). Entsprechend offen boten sich ihm schon bald diverse berufliche Chancen als Wissenschafter (Professur), als wirtschaftspolitischer Berater vonRegierungen, als CEO eines gewichtigen Schweizer Unternehmens, als Journalist sowie als Wirtschaftspolitiker. Winterberger liess sich nie von primär pekuniären Überlegungen leiten, sondern entschied sich als klassischer Liberaler, Bürger sowie sich gleichermassen an der res publicaorientierter liberalkonservativer Patriot wie liberaler Weltbürger für jenen Bereich, in dem er seine Talente und seine Interessen am besten entfalten konnte: Jenen der Wirtschaftspolitik. Zumal er sein (wirtschafts-) politisches Engagement stets von einem publizistischen begleiten liess. Alle seine Reden und Schriften, selbst jene in seiner Funktion als Vorortschef, verfasste Winterberger stets selbst. Von Politikern und Wirtschaftsvertretern, die hierzu Ghostwriter beschäftigten, hielt er nicht allzu viel.

Ein Tigerritt

Im privaten und familiären Rahmen verglich Winterberger nach seinem Rücktritt als langjähriges Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (heute Economiesuisse) seinen entschiedenen und während seiner Amtszeit meist höchst erfolgreichen Kampf für wirtschaftsliberale Rahmenbedingungen, die auf faire und unparteiische Weise gleichermassen KMUs wie Grossunternehmen in nichtdiskriminierender Weise zugutekamen, sowie gegen organisierte Sonderinteressen, für die beispielsweise die Volksvertreter Paul Eisenringund Christoph Blocher in Bern entschieden eintraten (Schmidheiny-Gruppe), mit einem Tigerritt. Und ein Tigerritt ist bekanntlich eine höchst anstrengende Angelegenheit, die stets die Aufwendung voller Konzentration bedeutet. Winterberger bedauerte, dass er sich vor seinem Rücktritt aus Verantwortungsbewusstsein genötigt sah, auf die Durchsetzung eines Nachfolgers, der dieselbe wirtschaftspolitische Linie weiterhin fortgeführt hätte, zu verzichten. «Ich hätte den von mir bevorzugten möglichen Nachfolgern, Fritz Mühlemann (SVP) oder Alexandre Jetzer (FDP), als Individuen einen schlechten Dienst erwiesen. Ich befürchtete, hätte der Name meines Nachfolgers Mühlemann oder Jetzer gelautet, hätte dieser angesichts der nachfolgenden üblen Intrigen aus Kreisen des Vororts-Präsidiums sowie anderweitig einen Herzinfarkt erlitten oder aber unter schweren gesundheitlichen Folgeerscheinungen gelitten. Und diese Verantwortung wollte und konnte ich ganz bewusst nicht übernehmen.»

Präsident als Partikularinteressenvertreter

Der jeweilige Präsident spielte beim Vorort seit Jahrzehnten stets die zweite Geige; dieüberwiegende Gestaltungsmacht hatte der jeweilige Direktor bzw. das Geschäftsführende Präsidialmitglied (dieser Titel war eine Ehrerweisung, die in der Geschichte des Vororts/der Economiesuisse nur Gerhard Winterberger zukam). Dies passte früheren sowie dem damaligen wie künftigen Vororts- bzw. Economiesuisse-Präsidenten ganz und gar nicht. Zudem vertraten diese fast immer die Partikulär-interessen ihrer jeweiligen Branche, in der sie unternehmerisch oder als Manager tätig waren (chemische Industrie etc.). Unzufrieden waren zudem auch dieRepräsentanten von Big Finance sowie jene der Schmidheiny-Gruppe über den Lauf der Dinge, da sie unter diesem Arrangement ihre Partikularinteressen nicht durchsetzen konnten. Mit der Wahl von Kurt Moser, der zuvor die Interessen eines führenden chemischen Unternehmens unseres Landes in Fernost vertrat, zum Direktor und Nachfolger von Gerhard Winterberger, wurden die Weichen gestellt, die zur bis heute andauernden ordnungspolitischen Verwahrlosung des Vororts – heute Economiesuisse – geführt haben.Gerhard Winterberger gehörte zwar bis zu seinem Tod am 17. Oktober 1993 dem Präsidium des Vororts an: Gelegentlich gelang es ihm gar, beispielsweise in der Frage der jüngsten – und danach erstmals vom Souverän gebilligten – Mehrwertsteuervorlage, eine Korrektur des vom Präsidenten und seinem Direktor vorgespurten Pfads zu erreichen durch die Entscheidung für die Nein-Parole. Zudem war es gleichermassen dem Machtstreben des damaligen sowie künftiger Präsidenten sowie des nachfolgenden bzw. künftiger Vororts- bzw. Economiesuisse-Direktoren geschuldet, dass der sich bis heute als höchst fatal erweisende Entscheid gefällt wurde, den Vorort/die Economiesuisse mit der Wirtschaftsförderung (wf), der PR- und Abstimmungskampfmaschine der Wirtschaft, zu fusionieren und auf diese Entscheidung bis zum heutigen Zeitpunkt nicht zurückzukommen.

Unbehagen über wirtschaftspolitische Entwicklung

Gerhard Winterberger, nach seinem Rücktritt zum Präsidenten der damaligen Genossenschaft Rentenanstalt (heute eine AG mit Namen Swisslife) gewählt, setzte weiterhin sein publizistisches Engagement fort, beschäftigte sich weiterhin nicht bloss mit ökonomischen, sondern auch mit historischen, mit volkskundlichen und staatspolitischen Fragen. Bereits vor seiner Pensionierung verfasste er ein wissenschaftliches Werk über Joseph Alois Schumpeter und dessen Geschichtsdeterminismus (1983), das passenderweise vom Walter Eucken Institut in Freiburg i.Br. herausgegeben wurde. Als post graduate hatte er seinerzeit in den späten 1940erjahren an der London School of Economics die letzten Vorlesungen von Walter Eucken, zusammen mitFranz Böhm der Begründer des Ordoliberalismus bzw. der Freiburger Schule, vor dessen vorzeitigen Tod gehört. Zudem besuchte er weiterhin gerne bedeutende Schwingfeste und klassische Konzerte in Luzern sowie in der Zürcher Tonhalle und pflegte den Gedankenaustausch mit seiner Familie, mit Freunden wie Professor Karl Schmid, jenen der Luna, der Languetaine und jenen des Rotary Clubs Zürich (dessen Präsident er zeitweise war).Er, der ein sensibler Mann war, was zu seinem Glück ausserhalb seines Familien- und Freundeskreises selten wahrgenommen wurde, litt sichtlich über den Niedergang der Economiesuisse, eine denkbare Entwicklung, die ich ihm seinerzeit prophezeit hatte, die vom Niedergang des politischen Liberalismus, insbesondere des Freisinns, dessen zunehmend etatistische Tendenzen er mit Unbehagen zur Kenntnis nahm, begleitet war. Diese in mehrfacher Hinsicht äusserst negative Entwicklung war im Verlaufe der 1990erjahre von einem massiven Anstieg der Staatsquote, der Staatsverschuldung und der Zahl der Staatsbeamten auf den Ebenen von Bund, Kantone und Gemeinden begleitet. Ein Hauptgrund für diese bis heute andauernde Fehlentwicklung dürfte im selbstverschuldeten andauernden Ausfall der Economiesuisse als bedeutender und ernstzunehmender (wirtschafts-)politischer Faktor unseres Landes liegen. Denn im gleichen Ausmass, wie diese Spitzenorganisation der Wirtschaft zu schwächeln begann ((wobei eine andere Spitzenorganisation, der Schweizerische Gewerbeverband, unter der Führung ihres heutigen Direktors, alt Nationalrat Hans-Ulrich Bigler, gleichermassen nur noch einen Schatten imVergleich zu den glorreichen Zeiten seines Vorvorgängers, des herausragenden Otto Fischer, darstellt, indem sich Bigler in fundamentalistische Positionen verrennt, die jenen der verblocherten SVP allzu nahe stehen… Da verfügte der über exzellente Rednergaben verfügende Otto Fischer, gleichermassen wie Gerhard Winterberger ein Mann des Volkes, doch über eine bedeutendstärkere Bodenhaftung…)), erstarkte deren sozialistischer Gegenpol, der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), der im Unterschied zu früheren Zeiten nicht selten statt der Sozialpartnerschaft den Klassenkampf favorisiert, deutlich, im Verbund mit der linksaussen positionierten Sozialdemokratischen Partei (SPS).

ANMERKUNG

(*) Diese Würdigung von Dr. Gerhard Winterberger wurde bereits am 17. Oktober 2018 aufder von mir seinerzeit herausgegebenen Site www.liberalefuerbdp.ch aufgeschaltet. Die hier wiedergegebene jüngste Fassung dieses Artikels wurde am 25. April 2022 geringfügig verändert und mit Zwischentiteln und dieser Anmerkung zusätzlich versehen. Die dieser Würdigung zugrunde liegende Analyse und Wertung drückt die Meinung desVerfassers wieder.

 

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